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„Menschen stellen ständig Prognosen auf, Tag für Tag werden auf der Basis von Vorhersagen Entscheidungen getroffen. Richter mutmaßen, ob ein Straftäter rückfällig werden könnte; Bankangestellte schätzen das Risiko dafür ein, dass ein Kunde zahlungsunfähig wird, Analysten sagen voraus, wie sich der Markt für Roboter entwickelt, und Ärztinnen, wie viele Tage ein Patient noch lebt. 

Prognosen bestimmen mit darüber, wo Firmen investieren und wo sie Arbeitsplätze abbauen, ob jemand eine Gefängnisstrafe bekommt, einen Kredit oder eine Chemotherapie. Mit Vorhersagen lässt sich Politik machen, bisweilen führen sie dazu, dass ein Krieg beginnt oder ein Herrscher stürzt. Wenn nun Fußballfans im ganzen Land tippen, wie die Europameisterschaft ausgeht, ist das nichts anderes als ein gigantisches Prognosespiel.“ (Martin Schlak und Maik Großekathöfer, DER SPIEGEL, Heft 28/24)

In fünf Kapiteln zu einer greifbaren Zukunft 

DER SPIEGEL führt durch die Kunst der Prognose und wie man mit ihr die Zukunft greifbarer machen kann. Dabei durften auch wir mit arq decisions einen unseren Beitrag vorstellen, um das Potenzial bei jedem zu wecken.

I. Die Kraft der Überraschung

Menschen liegen häufig mit ihren Vorhersagen daneben. Das liegt zu großen Teil daran, dass wir systematisch beeinflusst sind und unsere Einschätzungen nicht mit dem klaren Blick zu treffen, der uns eigentlich zur Verfügung steht. Diese systematischen Einflüsse sind Verzerrungen, oder in Englisch: Bias. Die Wissenschaft beschäftigt sich mit De-biasing. Also wie werde ich meine Verzerrung los, nachdem ich sie als Teil von meinen Eischätzungen erkannt habe? Eine Technik ist das Framing: die gleiche Frage, etwas anders gestellt, produziert andere, präzise Antworten. Neigen Sie dazu bestimmte Szenarien zu optimistisch einzuschätzen, fragen Sie sich: „Würde es mich überraschen, wenn es anders kommt?“ Sie nehmen die Gegenposition ein und bekommen schlagartig einen klareren Blick auf den Sachverhalt.

II. Suche nach dem besten Vergleich

Man möchte die Zukunft präzise einschätzen. Doch wo fängt man an? Gerade wenn es doch offenbar um die noch nie dagewesene Zukunft geht. Den perfekten Vergleich gibt es nicht. Starke Prognostiker akzeptieren das und arbeiten deshalb mit „Basisraten“. Diese bilden die Grundwahrscheinlichkeit ab; basierend auf den ähnlichsten Ereignissen, die die Geschichte zu bieten hat. Das sind die besten Vergleichsgruppen, die man für ein bestimmtes Ereignis finden kann. So schützt man sich davor, die eigenen Erfahrungen und Wünsche als maßgeblich für die Einschätzungen einfließen zu lassen. Viel mehr dienen die eigenen Erfahrungen nun für das präzisierte Bild: Inwieweit liegen die Dinge dieses Mal anders, als die Basisraten es mir suggerieren? Wenn Freunde von Ihnen heiraten, schauen Sie nicht nur in den Instagram-Feed der glücklichen Fotos, um die Zukunft des Paares einzuschätzen. Schauen Sie zunächst auf die Scheidungsraten. Vielleicht erkennen Sie auf den Fotos aber, warum die Scheidungsraten gerade für Ihre Freunde nicht die beste Einschätzung sind.    

III. Die Macht des Zufalls

»Zufälligkeit«, schreibt der Mathematiker Christian Yates, »führt das menschliche Gehirn nicht selten in die Irre.« Die meisten Menschen würden »zufällig« fälschlicherweise mit »gleichmäßig« gleichsetzen. Machen Sie es sich an einem Beispiel deutlich. Ich werfe für Sie sechsmal eine Münze, die landet auf Kopf (A) oder Zahl (B). Sie sollen tippen, was eher passiert, entweder die Reihenfolge „A-A-A-A-A-A“, oder „A-B-B-A-B-A“. Die meisten Menschen neigen zur zweiten Reihe: Mal ein Ausschlag hier, mal ein Ausschlag, nicht immer dasselbe. Das wirkt wahrscheinlicher. Ist es aber nicht. Beide Reihenfolgen sind gleichwahrscheinlich. Zufällig bedeutet, dass der nächste Wurf nicht vom letzten abhängt, dass beim nächsten Wurf Kopf genauso wahrscheinlich wie Zahl ist, also dass zwei beliebige Reihenfolgen gleichermaßen, wie unwahrscheinlich sie scheinen. Es gilt zu akzeptieren, dass der Zufall nicht gleichmäßig sein muss, sondern eben auch Häufungen erzeugen kann, also in anderer Gestalt – als Phantom einer Gesetzmäßigkeit – daherkommt.  

IV. Es gibt mehr als eine Zukunft

Auf die Frage, ob ein Ereignis eintreten wird, gibt es am Ende nur eine Antwort, „ja“ oder „nein“. Der Weg dahin führt über viele kleine Entscheidungen und Fügungen. Ändert sich eine davon, kann das Ergebnis ins Gegenteil drehen: aus einem „ja“ wird ein „nein“ – oder umgekehrt. Man kann alle anderen Aspekte korrekt eingeschätzt haben, das Feedback sagt: falsch, durchgefallen. Allein auf das Ergebnis zuschauen macht es daher schwer zu identifizieren, wo man sich verbessern kann und wo man auf dem richtigen Pfad ist. Hier hilft es den „Möglichkeitenraum“ (Bruno Jahn) zu öffnen. Eben nicht ein Ergebnis zu prognostizieren, sondern Szenarien nebeneinander zu stellen. Wenn Sie sich zehn verschiedene „Zukünfte“ vorstellen, wie oft tritt dabei das Ereignis ein? Sechsmal vielleicht? Schnell kommen Sie zu den kritischen Punkt: Wo liegen meine Unsicherheiten? Für das einzelne Ereignis bleibt das Feedback „ja“ oder „nein“. Über die vielen Ereignisse lernen Sie aber, ob die Ergebnisse zu Ihren Szenarien passen. Wenn Sie ein Würfelspiel beobachten und einschätzen sollen, ob beim nächsten Wurf eine Sechs kommt, sagen Sie am besten nicht „nein“ (auch wenn das wahrscheinlich stimmt). Sie verstehen, dass in einem von sechs Fällen ein sechs kommt. Und die vielen Würfelwürfe werden ihn recht geben. 

V. Üben, üben, üben

Ein Mensch kann die Theorie begreifen; seine Praxis verbessert er nur durch eines: Training. Der Klavierschüler findet auf dem Notenblatt alles, was es braucht, um ein Stück zu spielen. Die Einweisung der Klavierlehrerin hilft ihm dabei, das Stück, die Noten und das Instrument besser zu verstehen. Das Stück beherrschen wird der Klavierschüler aber nur durch Üben. Je mehr, desto besser. Das großartige am Instrument ist, dass es einem sofort zu hören gibt, ob man richtig liegt. Unmittelbares Feedback ist enorm wichtig für den Lernerfolg. Anders ist es auch beim Prognostizieren nicht. Es ist keine Geheimwissenschaft oder eine Gabe. Die Prinzipien sind gut erforscht, dokumentiert und für jeden erlernbar. Die Theorie allein hilft einem noch nicht die Aufgabe zu meistern. Üben und Feedback zu bekommen ist notwendig, um zu lernen und seine Technik anzupassen. Die Welt ist leider kein Instrument, dass auf jede Einschätzung ein unmittelbares Feedback gibt. Dafür arbeiten Prognostiker seit einigen Jahren mit Plattformen, die Einschätzungen aufzeichnen, nachhalten und in den Kontext setzen, wenn ein Ereignis eintritt – oder eben nicht. Nicht jeder fängt auf dem Klavier mit Chopin an. In der Regel versucht man sich an einfacheren Stücken, bei denen man eine Chance hat zu verstehen, was man richtig und was man falsch gemacht hat. Das ist auch unser arq decisions – über die vielen kleinen Fragen jeden fit zu machen, auch die großen Einschätzungen genauer treffen zu können. 

8. Juli 2024